Liegt es nicht nahe, sich in einer Zeit, die uns bisweilen zur Entschleunigung zwingt, uns auf uns selbst zurückwirft und unsere Geduld auf eine ungewohnt harte Probe stellt, einmal intensiv mit der Zeit selbst zu beschäftigen? Dazu inspiriert das Sachbuch Zeit. Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen des deutschen Schriftstellers und Philosophen Rüdiger Safranski.
Obwohl bereits 2015 veröffentlicht, erscheint die Abhandlung heute aktueller denn je, eröffnet sie den Leser:innen doch vielfältige Einblicke in ein Phänomen, das sich uns angesichts teilweise beschränkter Möglichkeiten zur Teilhabe am sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben in einer neuen Dimension offenbart.
Die Zeit bewirkt, dass wir einen schmalen Streifen von Gegenwärtigkeit bewohnen, nach beiden Seiten umgeben von einem Nicht-Sein […].
Was wir mit diesem „schmalen Streifen von Gegenwärtigkeit“ anfangen, unterliegt nach Safranskis Auffassung heutzutage meist einem „strikten Zeitregime“. Unser Alltag ist durchgetaktet: Lernen, Arbeiten, Freizeit – für beinahe alles haben wir feste Zeitfenster etabliert, über den Ablauf unseres Tages „ein engmaschiges Netz von Zeitregelungen“ gelegt, das sich zunehmend verdichtet. In der Folge nimmt der Zeitdruck zu und wir empfinden Zeit vor allem als eines: als viel zu knappes Gut, das optimiert, eingespart, effizienter genutzt werden muss.
Diesem Empfinden zugrunde liegt die „Zeiterfahrung im gesellschaftlichen Getriebe“, die nicht selten zu einer Vernachlässigung oder Verdrängung des eigenen inneren Rhythmus, zu einer „Rücksichtslosigkeit gegenüber der Eigenzeit“ führt.
Bloße Tipps zur Beseitigung dieses Missverhältnisses, wie sie auch in zahlreichen „Ratgebern für eine persönlich abgestimmte Zeithygiene“ zu finden sind, sucht man in diesem Buch vergebens. Stattdessen regt Safranskis kultur- und gesellschaftskritische Abhandlung zum Nachdenken über die Frage an, ob es nicht langsam (auch vonseiten der Politik) geboten wäre, „andere Arten der Vergesellschaftung und Bewirtschaftung der Zeit zu entwickeln und durchzusetzen“.
Foto: Martina Hofmann, 2022
© Cover: www.buerosued.de nach einer Idee von Peter-Andreas Hassiepen